Eine von persönlichen Eindrücken geprägte Bestandsaufnahme – ein EPILOG.
Zusammenfassung: Der Blog-Autor reflektiert seine persönlichen Eindrücke über die S/4HANA Einführungs- oder Transformations-Projekte in der DACH-Region und kommt zu dem Schluss, dass nur wenige Projekte erfolgreich verlaufen. Er kritisiert die SAP für ihre fehlende klare Vorgehensweise und Empfehlungen bei der Einführung von S/4HANA sowie für die Fokussierung auf Profit statt Kundennutzen. Der Autor hinterfragt auch die Wirksamkeit von SAP Activate als Methodik und Framework und kritisiert die Einführung von RISE als umfassendes Programm zur Geschäftsprozesstransformation und Cloud-Migration, das möglicherweise nicht immer passend für alle Kunden ist.
SAP’s RISE – ein Beschleuniger für den Misserfolg?
Wenn ich auf meine Erfahrungen zurückblicke, Gespräche in meinem Netzwerk ebenso wie einschlägige Artikel und Reaktionen darauf reflektiere, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es, zumindest in der DACH-Region immer noch nur sehr wenige wirklich erfolgreiche und einigermaßen reibungslos verlaufende S/4HANA Einführungs- oder Transformations-Projekte gibt.
Am besten scheint es noch bei kleineren Unternehmen, die bisher kein SAP ERP im Einsatz hatten, geklappt zu haben. Im Gegensatz dazu scheint die große Community der bisherigen SAP ECC Anwender, also diejenigen, die sich aufgrund des vielfach zugrunde gelegten Greenfield-Approachs (der dann ja sowieso irgendwie „blue“ wird) und die sich somit für ein richtiges Transformationsprojekt entschieden haben, immer noch zu überlegen, wie sie das am besten angehen und verharren – nicht zuletzt ob der fehlenden methodenbasierten Guidance eher in einer bemerkenswerten Starre.
Worin könnte das begründet sein? Sind die Kunden durch die SAP fehlgeleitet worden?
Die SAP hat sich mit Blick auf S/4HANA sowohl bei der Definition und Empfehlung einer klaren und konsistenten Vorgehensweise zur Durchführung solcher Transformationsprojekte als auch zum sicheren und performanten Betrieb eines S/4HANA Systems bei unterschiedlichen Ausgangssituationen von Anfang an nicht an der Maximierung des Nutzens für ihre Kunden, sondern der des eigenen Profits orientiert und hat sich dabei bestehende Hypes im Marketing zu Nutze gemacht.
Die wichtigsten Beispiele sind:
Die unisono Empfehlung, das S/4HANA System am besten in der ausschließlich SAP S/4HANA Cloud (als Public Edition oder Private Edition) zu betreiben, ohne explizit darauf hinzuweisen:
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- Dass sie selbst nicht in der Lage ist, die damit verbundene Transition in die HEC adäquat zu führen und zu unterstützen
- Dass sie nicht in der Lage ist, die damit einhergehende Basis Betreuung auch nur annähernd in einem für Kunden aus dem On-Prem gewohnten Service-Level (Qualität und Geschwindigkeit betreffend) zu leisten
- Dass der Kunde in dem Modell nicht mehr Eigentümer der Lizenzen ist und somit ein Wechsel zu einem anderen (Cloud-)Provider zumindest massiv erschwert wird
- Dass die System Ownership nicht beim Kunden liegt und es keine geregelte Übergabe nach Vertragsende (SaaS) gibt – dies betrifft insbesondere auch die Daten!
- Dass Reduzierungen des Leistungsumfangs während Vertragslaufzeit nicht möglich sind.
s. dazu auch BLOG-Beitrag 17
Die unisono Empfehlung, unbedingt das SAP Activate als Methodik und Framework unbedingt zugrunde zu legen sei, um eine erfolgreiche S/4HANA Einführung auf Basis eines agilen Vorgehens zu gewährleisten. Dabei:
- War SAP Activate nie irgendetwas wirklich neues, sondern lediglich ein primär verbal auf agil gepimptes (Prototyping-Zyklen sind Sprints und die OP-Liste heißt BackLog) aus AcceleratedSAP bekanntes Vorgehen und unter Nutzung/Empfehlung teilweise sehr veralteter Vorlagen und Tools (i.e. BPP-Dokumente)
- War SAP Activate anfangs nur ein inhaltsloses Rudiment einer Vorgehensweise und wurde sukzessive mit (zusammengestückelten) Inhalten gefüllt – ein fundierter und konsistenter Aufbau einer Methode sieht anders aus.
- Wurde in SAP Activate insbesondere viel Wert darauf gelegt, weitere kostenpflichtig bei der SAP einzukaufenden Produkte und Applikationen als (zwingende) Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung zu definieren. Beispiele hierfür sind:
- Die Empfehlung eine oder mehrere sog. Model-Companies zu erwerben (die dann nicht einmal datentechnisch harmonisiert sind) – s. dazu auch die BLOG-Beitrag 9 und BLOG-Beitrag 10
- Die mittlerweile in die SAP Activate Vorgehensweise alternativlos integrierte Nutzung des zusätzlich zu lizensierenden und vor nicht allzu langer Zeit durch die SAP übernommenen SIGNAVIO als BPM-System und damit den Aufbau einer meiner Ansicht nach unverschämt hohen Hürde zur alternativen Nutzung eines anderen und ggfs. besseren BPM-Systems
- Die mittlerweile in SAP Activate integrierte Empfehlung, das zusätzlich zu lizensierende SAP eigene SAP-Enable-Now als Autorentool für die Dokumentation zu nutzen und den damit erweckten Eindruck es gäbe keine besseren und günstigeren Autorentools – s. dazu auch BLOG-Beitrag 25.
- Setzt SAP Activate meiner Ansicht nach viel zu spät auf und adressiert die in einem Transformationsprojekt die mit dem Gesamtchange in der Organisation verbundenen Aspekte weder vollständig noch qualitativ adäquat. Daran ändert auch das sehr verspätete definierte Dranflicken eines BPM Systems nicht wirklich etwas
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass SAP Activate im Wesentlichen als Cross-Selling-Tool der SAP zu sehen ist, bei dem zum Großteil (sehr) alter Wein in neue Schläuche mit agilem Anstrich gefüllt wurde.
Ein Widerruf
In meinem BLOG-Beitrag 7 habe ich zu den Unterschieden zwischen einer S/4HANA und einer SAP R/3-Einführung Stellung genommen und mich im BLOG-Beitrag 8 sehr positiv über die neuen für die S/4HANA Einführung kostenlos zur Verfügung stehenden Tools geäußert und deren sinnvollen Einsatz skizziert. Dies geschah damals unter dem Eindruck, dass die SAP wirklich darauf fokussiert, für Kunden die S/4HANA Implementierung bestmöglich zu unterstützen und dabei nicht primäre den eigenen Profit im Fokus zu haben – das wäre ja ein Prinzip, welches einer langfristigen vertrauensvollen Kundenbindung zugrunde liegen könnte. Leider musste ich diesen Eindruck mittlerweile gründlich revidieren.
Wie geht es nun weiter?
Die von mir in BLOG-Beitrag 8 sehr positiv bewerteten kostenlos von der SAP bereit gestellten Tools sind teilweise schon verschwunden oder verschwinden in naher Zukunft:
- Die einfach zu analysierende S/4HANA xxxx Simplification List wird schon seit der Version 2020 von der SAP nicht mehr fortgeschrieben und als solche zur Verfügung gestellt.
- Die letzte Version finden Sie hinter diesem link: S/4HANA 2020 Simplification List.
- Alternativ kann der What’s New Viewer der SAP genutzt werden
- Der mit umfassenden Informationen ausgestattete SAP S/4HANA Best-Practice-Explorer wird schon seit Rel. 2020 nicht mehr komplett fortgeschrieben und wird nun demnächst komplett eingestellt (das ist mittlerweile vollzogen):
- SAP empfiehlt die ersatzweise Nutzung des Process Navigator (eine Präsentation zu diesem finden Sie hier)
- In meinem Digistore24 finden Sie die Listen der mit den SAP Business Process Steps der S/4HANA 2022 Best-Practice Prozesse – sowie der Vorgänger-Releases
- Es ist wohl davon auszugehen, dass die SAP die S/4HANA Best-Practice-Prozesse nicht mehr in der bisherigen BPMN2-Notation zum kostenlosen Download zur Verfügung stellen wird, um diese dann in ein beliebiges BPM-System (auch andere als SIGNAVIO) laden zu können. ABER: In meinem Digistore24 finden Sie eine komplette Kollektion der SAP S/4HANA Best Practice Processes (Version 2021) – deutsch mit vertikalen Swimlanes wie auch eine komplette Kollektion der SAP S/4HANA Best Practice Processes (Version 1909) – deutsch mit horizontalen Swimlanes
Die SAP selbst setzt nun mit Ihrem RISE dem ganzen noch die Krone auf:
Das was bisher schon in Einzelteilen nur dürftig oder gar nicht funktioniert hat, wird nun damit ein Gesamtpaket an den Markt gebracht:
„SAP’s RISE (Realize Impact & Sustain Excellence) ist ein umfassendes Programm, das Unternehmen dabei unterstützt, ihre Geschäftsprozesse zu transformieren und auf die Cloud umzustellen. Das Programm ist eine End-to-End-Lösung, die alle Aspekte der Cloud-Migration abdeckt, einschließlich der Planung, Implementierung, Integration, Schulung und Wartung von Cloud-basierten Geschäftsanwendungen.
RISE beinhaltet eine Reihe von SAP-Produkten und -Dienstleistungen, wie z.B. SAP S/4HANA Cloud, SAP Business Technology Platform, SAP SuccessFactors und SAP Ariba. Es bietet auch Cloud-Services wie Infrastruktur, Plattform und Software as a Service (IaaS, PaaS, SaaS) sowie die Möglichkeit, die gesamte IT-Infrastruktur in der Cloud zu betreiben.
Darüber hinaus enthält RISE eine Vielzahl von Werkzeugen und Ressourcen, die Unternehmen dabei helfen, ihre Cloud-Transformation zu planen, zu implementieren und zu optimieren. Dazu gehören beispielsweise eine Cloud-Readiness-Analyse, ein Cloud-Readiness-Workshop, Best Practices für die Cloud-Implementierung, eine Cloud-Migrationswerkzeugkette und vieles mehr.
RISE soll Unternehmen helfen, ihre Geschäftsprozesse zu digitalisieren, ihre Effizienz und Produktivität zu steigern und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, indem es ihnen ermöglicht, flexibler, skalierbarer und agiler zu sein.“
Eigentlich möchte man dazu nur sagen:
„Ach Du liebes Bisschen, nicht das jetzt auch noch! Begeben Sie sich in enge und unkündbare Umarmung mit allem, was die SAP zu bieten hat und überlassen sie ihr auch getrost die Hoheit über Wohl und Wehe Ihrer Daten“.
Dabei gelingt es der SAP offensichtlich bemerkenswerterweise auch noch, bei Neu- wie Bestandskunden den Eindruck zu erzeugen, dass sie auch noch der am besten befähigte Implementierungspartner seien. Anders ist es meiner Meinung nach kaum zu erklären, dass es der Vertriebsmaschinerie der SAP gelingt, dieses RISE Paket so erfolgreich in den Markt zu drücken, dass Ihnen mittlerweile die On-Shore-Ressourcen für eine adäquate Unterstützung der Kunden ausgegangen sind – und das können auch Heerscharen an Off-Shore Implementierungs-Teams nicht annähernd kompensieren. Dies gilt naturgemäß für Transformationsprojekte, bei denen die Anwender an die Hand genommen und gut verargumentiert von den neuen S/4HANA Best-Practise Prozessen überzeugt werden müssen in besonderer Art und Weise.
RISE Verträge bereits abgeschlossen
Es könnte natürlich auch sein, dass dieses verlockende Angebot vielfach auf Executive Ebene wider besseren Wissens des operativen IT-Managements entschieden wird – wie auch immer, sei’s drum. Mir ist meinem Geschmack nach in den vergangenen Monaten im Rahmen von an mich ergangenen Anfragen zur Übernahme eines Projektmanagementmandats viel zu häufig davon berichtet worden, wie weit man schon in den vertraglichen Abschlüssen vorangeschritten sei – und immer war der Grund ein bereits abgeschlossener RISE Vertrag. Ich habe dann vielfach resigniert die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, weil RISE offensichtlich ohne jedwede Beurteilung von Passform des (Deployment-) Modells für Branche, Unternehmensgösse und Legacy-Ausgangssituation von der SAP an den Kunden gebracht wird. Am bedenklichsten wird dies meiner Ansicht nach, wenn SAP Neukunden mit dem RISE Package „beglückt“ werden ohne aufgrund fundierter Erfahrungen mit der SAP beurteilen zu können, worauf sie sich da eingelassen haben. Ich befürchte allerdings, dass es nicht einen positiven Beitrag zum Image von SAP S/4HANA leisten wird, wenn sie dies vergegenwärtigen.
Und wie weiter in diesem BLOG?
Ich bin froh, dass ich den Gesamt(-projekt-)zyklus meines S/4HANA Projektmanagement BLOG abschließen und die für die skizierten sinnvollen Vorgehensweisen notwendigen Werkzeuge bereitstellen konnte, bevor die SAP die Schotten dicht gemacht hat.
Auch hoffe ich, dass ich dem in BLOG 1 selbst gesteckten Anspruch:
„Die methodische Motivation sowie das moralische Grundverständnis der SAP-Beratergilde kann und will ich nicht in der Breite beeinflussen. Deshalb habe ich mich entschlossen, Ihnen – den betroffenen Kunden – mit diesem Blog-Projekt das nötige Rüstzeug an die Hand zu geben, damit Sie sicherstellen können, dass Sie nicht ebenfalls von Ihrem Beratungspartner übervorteilt werden.“
in weiten Teilen gerecht werden konnte.
Aktualisierungen
Einige BLOG-Beiträge bedürfen einer dringenden Aktualisierung, da sich seit ihrer Erstellung die Welt weiter gedreht hat; dies betrifft insbesondere den BLOG 17 über die Betriebsmodelle, wie auch die „noch“ im S/4HANA Umfeld verfügbaren Tools. Diese Aktualisierungen werde ich versuchen, zeitnah vorzunehmen.
Es wird sicherlich auch noch einen zusätzlichen Beitrag zur Vorgehensweise zur Erstellung einer ROI Betrachtung für eine S/4HANA Einführung geben.
Ansonsten werde ich mich auf die Aktualisierung der Thematiken rund um die Befähigung der End-User, also Kommunikation, Anwendungsdokumentation und Trainings (s. BLOG 25) fokussieren – hier habe ich in den vergangenen Jahren sehr viele neue und gute Einsichten gewinnen dürfen.
Der guten Ordnung halber möchte ich klar stellen, dass ich diesen BLOG-Beitrag bereits Ende April / Anfang Mai 2023 verfasst habe. Nach der anschließenden Übernahme eines neuen Beratungsmandats Anfang Mai habe ich die Veröffentlichung vorerst zurückgehalten, da ich dachte (und hoffte), ich könnte vielleicht eines besseren belehrt werden.